holding for memories, shifting for thougts
solo show, J.J. Heckenhauer, Munich, 2024

Text zur Ausstellung / DE

„HOLDING FOR MEMORIES, SHIFTING FOR THOUGHTS“ beleuchtet Maria Justus Faszination für die Schnittstellen zwischen Mensch und Technologie. Besonders interessieren sie Maschinen bzw. digitale Programme, die menschliches Denken, Fühlen und Handeln imitieren und dabei nicht nur versuchen, bestimmte Arbeitsprozesse, sondern auch Menschen an sich zu ersetzen. Ihre Arbeiten untersuchen, wie Innovationen die analoge Wirklichkeit und persönliche Empfindungen bzw. individuelle Weltbilder erweitern und beeinflussen können.

In der Vergangenheit wurden (göttliche) Übermenschen als Hüter sozialer Normen in Stein verewigt und der Glaube an sie hatte großen Einfluss auf das menschliche Verhalten. Heute streben viele Menschen danach, selbst die aktive, allwissende oder sogar göttliche Rolle einzunehmen: als Forschende, Schöpfer*innen und Herrscher*innen über die Natur.

Die grundlegendste Veränderung im Wandel der Zeit erkennt Justus in der Beziehung der Menschen zu sich selbst. Das Wandvlies, auf dem Satellitenfotos aus dem Online-NASA-Archiv zu sehen sind, veranschaulicht inwieweit die Wissenschaft zum Stellvertreter für Glauben und gesellschaftlich anerkannte Normen geworden ist. Das menschliche Streben beschränkt sich nicht länger auf die Erde; diese Bilder repräsentieren den wissenschaftlichen Fortschritt und die Sehnsucht nach neuen Orten. Die Menschheit strebt einem unbekannten Ziel entgegen, während die Errungenschaften der Wissenschaft paradoxerweise stets neue Rätsel aufwerfen, anstatt finale Antworten auf existentielle Fragen zu liefern.

Justus präsentiert neue Arbeiten aus vier verschiedenen Serien. In Reminiscence zeigt sie großformatige Bilder, die collagierte, fragmentierte Aufnahmen einer unbekannten griechischen Gottheit darstellen. Diese Werke hinterfragen die Vergänglichkeit von Archetypen, die einst das Menschenbild prägten, und beleuchten die Möglichkeit ihrer Reinterpretation, die oft zur Verfälschung von Erinnerungen und historischen Fakten genutzt wird. Die blaue Übermalung der Bilder steht für die Möglichkeit der Veränderung dieser Erinnerungen und die potenzielle Manipulation von Bildern, Wahrheiten und Bedeutungen.

Dem gegenüber präsentiert Justus in Beton gegossene Wandskulpturen von Körperfragmenten, in diesem Fall Händen. Sie rückt damit den Menschen als Subjekt und damit als denkendes und fühlendes Wesen in den Vordergrund ihrer Arbeit. Diese Perspektive wird durch die Hände, die wie lebendig aus der Wand in den Raum greifen und doch in ihrer Bewegung versteinert sind, hervorgehoben. Die Hände schaffen eine Verbindung zwischen den leblosen Artefakten auf den Leinwänden sowie dem sich darin aufhaltenden lebendigen Publikum.

Kleinformatige Schwarz-Weiß-Arbeiten auf Transferfolien zeigen altrömische Marmorskulpturen. Die Statuen, einst Zeugen der Weltbilder und Überzeugungen vergangener Zivilisationen, sind ihrer früheren Funktion als Vorbild und Götzenbild entrückt, heute sind sie anonym und verwahrlost. In diesen analog bearbeiteten Fotografien reflektiert Justus den Verfall sozialer Normen in der Geschichte.

In einer weiteren Werkserie sind Wolken abgebildet, die Justus über Jahre hinweg fotografisch festgehalten hat. Die Serie thematisiert die Vieldeutigkeit von Wolken als ungreifbares Element des Himmels und als digitale Clouds zur Datenspeicherung. Wolken verbinden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, indem sie den Wasserkreislauf auf der Erde mitgestalten, für die Fruchtbarkeit der Böden sorgen und eine visuelle Brücke zwischen der Greifbarkeit der Erde und der Ungreifbarkeit des Himmels schaffen. In ihrer digitalen Form sind Clouds die Infrastruktur für digitale Archive. Nutzer*innen laden Daten über eine Internetverbindung auf einen Server hoch, wo sie auf einer virtuellen Maschine auf einem physischen Server gespeichert werden. Justus Werkserie verknüpft diese beiden Aspekte, indem sie die flüchtige Natur physischer Wolken und die Beständigkeit digitaler Cloudsmiteinander in Beziehung setzt.

„HOLDING FOR MEMORIES, SHIFTING FOR THOUGHTS“ beleuchtet die Wechselwirkung zwischen Vergangenheit und Zukunft sowie Menschsein und Technik und inspiriert zur Reflexion über Werte in einer technologisierten Welt. Besonders aber schafft die Künstlerin einen Freiraum, um über die Bedeutung und den fortwährenden Wandel unserer Werte, Normen und Weltbilder nachzudenken, angetrieben von unserem sehnsüchtigen Streben nach etwas Größerem.

Teresa Retzer

Press release / EN

„HOLDING FOR MEMORIES, SHIFTING FOR THOUGHTS“ illuminates Maria Justus‘ fascination with
the interfaces between humans and technology. She is particularly interested in machines or digital
programs that mimic human thinking, feeling, and actions, aiming not only to replace certain work
processes but also humans themselves. Her works explore how innovations can expand and influence
analog reality and personal emotions or individual worldviews.
In the past, (divine) superhumans were immortalized in stone as guardians of social norms, exerting
significant influence on human behavior. Nowadays, many people strive to assume the active, all-knowing, or even divine role themselves: as researchers, creators, and rulers over nature.
Justus identifies the most fundamental change in the relationship between humans and themselves over
time. The wall hanging displaying satellite photos from the online NASA archive illustrates how science has become a surrogate for belief and socially accepted norms. Human endeavor is no longer limited to Earth; these images represent scientific progress and the longing for new places. Humanity is striving towards an unknown destination, while paradoxically, the achievements of science always raise new puzzles, rather than providing final answers to existential questions.
Justus presents new works from four different series. In Reminiscence, she showcases large-scale
images that depict collaged, fragmented snapshots of an unknown Greek deity. These works question the
transience of archetypes that once shaped the human image and highlight the possibility of their reinterpretation, which is often used to distort memories and historical facts. The blue overlay of the images symbolizes the potential for changing these memories and the potential manipulation of images, truths, and meanings.
In contrast, Justus presents wall sculptures cast in concrete of body fragments, in this case, hands. This emphasizes humans as subjects and as thinking and feeling beings in her work. This perspective is
highlighted by the hands, which reach out from the wall into space as if alive but are petrified in their movement. The hands establish a connection between the lifeless artifacts on the canvases and the living audience therein.
Small-format black-and-white works on transfer foils depict ancient Roman marble sculptures. The
statues, once witnesses to the worldviews and beliefs of past civilizations, are now detached from their former function as role models and idols; today, they are anonymous and neglected. In these analog manipulated photographs, Justus reflects on the decay of social norms throughout history.
In another series of works, clouds photographed by Justus over the years are depicted. The series
addresses the ambiguity of clouds as intangible elements of the sky and as digital clouds for data storage.
Clouds connect past, present, and future by shaping the water cycle on Earth, ensuring soil fertility, and creating a visual bridge between the intangibility of the sky and the tangibility of the Earth. In their digital form, clouds serve as the infrastructure for digital archives. Users upload data via an internet connection to a server, where it is stored on a virtual machine on a physical server. Justus‘ series of works links these two aspects by juxtaposing the fleeting nature of physical clouds and the permanence of digital
clouds.
„HOLDING FOR MEMORIES, SHIFTING FOR THOUGHTS” illuminates the interaction between past and
future, as well as humanity and technology, inspiring reflection on values in a technologized world. Above all, the artist creates a space for contemplating the significance and ongoing change of our values, norms, and worldviews, driven by our longing pursuit of something greater.

Teresa Retzer

Photo: Produktion Pitz